Jüdisches Gemeindeleben(1)

Die Leitung der israelitischen Religionsgemeinde lag in Händen von gewählten Laien. Alle drei Jahre wählte die Gemeinde aus ihrer Mitte den Gemeindevorstand, der in Wörrstadt aus drei Personen bestand. Der Gewählte mit den meisten Stimmen wurde der 1. Vorsteher, der Parnas.

Als 1. Vorsteher, jeweils über mehrere Wahlperioden:

Nathan Herzog 1899 bis zu seinem Tod 1921,
Karl Herf 1921 bis zu seinem Tod 1927,
Leopold Mayer 1927 – 1930.

Als Mitglieder des Gemeindevorstandes:

Abraham Bronne (1897-1929)
Josef Günzburger (1901–1904)
Markus Morreau (1904 – 1907)
Leopold Mayer (1924-1930)

Wahlberechtigt waren Männer, nach 1919 auch Frauen. Wählbar waren i.d.R. nur Männer. 1924 und 1926 waren 45 Personen wahlberechtigt, davon 22 Männer und 23 Frauen, darunter vier Witwen. Aber nur 14 der 22 Männer gaben ihre Stimme ab, keine einzige Frau bis auf Johanna Dewald, die sich in den Steuerausschuss der Gemeinde wählen ließ.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die meisten jüdischen Gemeinden den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das bedeutete, dass sie jährlich die Planung ihres Haushalts mit Einnahmen der Kreisverwaltung zur Prüfung einreichen mussten. Zu diesem Zweck beschäftigten sie einen Buchhalter, meist ein nicht-jüdischer Rechner aus Wörrstadt. 1938 entzogen die Nationalsozialisten den Gemeinden diesen Status als öffentlich-rechtliche Körperschaft. Rabbiner waren für die Lehrer und die Rechtsprechung zuständig, aber die meisten Gemeinden konnten sich keinen eigenen Rabbiner und eigenen Lehrer und Kantor leisten. Wörrstadt gehörte zum Rabbinatsbezirk Alzey. Der dortige Bezirksrabbiner kam zu besonderen Anlässen nach Wörrstadt, sowie auch der Kantor und Lehrer wöchentlich für den hebräischen Religionsunterricht an der Wörrstädter Volksschule.

ehemalige Synagoge Wörrstadt (Bild aus den 50er Jahren)
Die Judde-Schul - Betraum und Synagoge

Treffpunkt und Zentrum des religiösen Lebens war in kleineren Gemeinden ein Betraum, oft in Privathäusern. In größeren Orten eine Synagoge. Die Wörrstädter Synagoge in der Mühlbach Str. 12 wurde 1833 eingerichtet, und wie in vielen anderen Orten in der Pogromnacht 1938 verwüstet. Ab 1940 ist die Synagoge im Besitz der bürgerlichen Gemeinde Wörrstadt. Sie wurde später zu einem Wohnhaus umgebaut und ist als solche nicht mehr erkennbar. Für einen Gottesdienst mussten mindestens zehn religiös mündige Männer, der Minjan, zusammenkommen. Zum Beten legten sie religiöse Gewänder an. Im Gottesdienst wurde die Tora-Rolle aus dem Toraschrein, der heiligen Lade, an der Ostwand der Synagoge geholt, in
einer von Gesängen begleiteten Prozession zum Lesepult, genannt Bima oder Almemor getragen und dann daraus hebräisch vorgelesen. Dazu wurde ein Gemeindemitglied an das Lesepult gerufen. Es folgten Gespräche zur Auslegung der Schrift und Gesänge. Mit dem Reformjudentum um 1840 änderte sich der Gottesdienst in liberalen Gemeinden: Der Rabbiner predigte auf Deutsch, eine Orgel begleitete die Gemeindegesänge, in einigen Gemeinden gab es (gemischte) Chöre.

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